Texte

Christian Holl

Dimensionen des Raums
Zu den Objekten von Karl-Heinz Bogner

Katalog: „Karl-Heinz Bogner: Objekte / Objects“
Architekturforum Aedes Berlin, 2005

Spricht Karl-Heinz Bogner über seine Arbeit, kommt in verschiedenen Zusammenhängen immer wieder der Begriff des Raums zur Sprache. Raum als Schutz- und Rückzugsraum, Räume, die beim Prozess des Zeichnens entstehen, vielschichtige Bildräume, Erinnerungsräume. Dass der Raum eine Instanz ist, auf die sich zu beziehen Karl-Heinz Bogner selbstverständlich sein muss, macht seine Biografie deutlich, die ihn als ausgebildeten Architekten ausweist. Und doch darf man sich gerade durch diese Information nicht irreleiten lassen: Der Raum, von dem Karl-Heinz Bogner spricht, ist etwas anderes als der architektonische Raum im Sinne von gesetzten Grenzen aus tektonischen Elementen, er ist mehr als der geschaffene Raum, der der Erfüllung von Funktionen dient, der Techniken verfügbar macht und die Bewältigung des Alltags strukturiert. Einer solch pragmatischen Sicht muss sich die Arbeit Bogners verweigern, und das nicht nur aus der ebenso offensichtlichen wie oberflächlichen Argumentation, dass seine Objekte keine Funktionen zu erfüllen haben. Das ist insofern richtig, als es diesen zu erfüllenden Zweck vor dem Beginn der Arbeit, wie dies in der Architektur der Fall ist, bei Bogners Arbeiten nicht gibt – trotzdem erfolgt eine Zuordnung dessen, was die Zeichnungen, die Malerei und die Objekte sind und leisten, allerdings erst nach der Fertigstellung. Der so gekennzeichnete offene Prozess, auf den sich Bogner mit jeder neuen Arbeit einlässt, der nicht kalkuliert und determiniert ist, lässt sich am Resultat immer noch ablesen.

Doch ist das Räumliche in Bogners Arbeiten als etwas, das über die Architekturpraxis hinausgeht, vor allem daran zu erkennen, dass weder Zeichnungen und Malerei, noch Modell Abbilder von Originalen sind, deren Ausdehnung und Größe feststehen und in der Zeichnung oder dem Modell abstrahiert dargestellt würden. Im Gegenteil ist es so, dass die Bilder und Skulpturen dem Betrachter als eigene und eigenständige Bildräume Hilfestellungen sind, selbst Raum zu imaginieren, den Raum des Bildes und der Skulptur weiter zu denken und sich in ihn einzuleben, sich in ihm einzunisten und zu seinem eigenen zu machen.

Der Unterschied zwischen Sehen und Sichtbarmachen, wie ihn Baudrillard in seinem Essay »Wahrheit oder Radikalität« verwendet, kann dieses Anliegen verdeutlichen. Es darf nicht alles sichtbar gemacht werden, damit man sehen kann. Baudrillard wehrt sich gegen eine Architektur, die »nicht mehr auf irgendeine Wahrheit noch irgendeine Originalität, sondern nur mehr auf die technische Verfügbarkeit der Formen und der Materialien« verweist. Statt dessen fordert er eine Architektur, die bereit ist, sich destabilisieren zu lassen, indem sie Vorstellungsräume denen öffnet, die sie benutzen. In diesem Sinne lassen sich Bogners Objekte dann doch und im besten Sinne als Architektur interpretieren, denn sie öffnen über räumliche Setzungen diesen Raum der Vorstellung. Bogner wünscht sich, dass das Angebot, das er auf diese Weise dem Betrachter macht, frei genutzt wird, er gibt prinzipiell den Spielraum frei, seine Arbeiten zu interpretieren. Es ist daher auch dem Betrachter offen gelassen, auf welche persönliche Erfahrung er zurückgreift, welche ästhetische Assoziation er an die Objekte knüpft. Trotzdem sei es erlaubt, an dieser Stelle Möglichkeiten anzubieten, sich die Arbeiten Bogners auch im Zusammenhang mit ihrer architektonischen Affinität anzueignen.

Für Christian Kühn, Vorsitzender des Vorstands der Architekturstiftung Österreich, ist die Architektur ein Medium, durch das die Gesellschaft über sich selbst nachdenkt, und sie hat als solche ihre Berechtigung, die über Nützlichkeitsdenken ebenso hinausgeht wie sie durch verordnete ästhetische Urteile behindert wird. Architektur bezieht sich, so verstanden, auf gesellschaftliche Zusammenhänge, die die Prozesse des Zusammenlebens in all ihrer Breite reflektieren.

Es ist wichtig, Bogners Arbeit über eine solche Vorstellung von Architektur hinaus als eine Aufforderung zu verstehen, die sich direkt an das Individuum richtet. Seine Skulpturen aus Holz und Karton, manche von ihnen auf Stahlstelen montiert, andere auf Sockeln platziert, wecken Assoziationen an Räume, die nur noch einer Person dienen können und für sie zum letzten Rückzugsraum werden, sei es auf der Flucht, oder, um Ruhe zu finden, ungestört von all dem, was auf sie einstürmt. Die Ambivalenz zwischen Freiheit und Bedrohung ist kein Zufall. Die Erfahrungen, zu sich selbst erst in existenziellen Grenzerfahrungen zu finden, sich von den Bindungen des Alltags zu lösen, um sich als menschliches Wesen überhaupt zu erfahren, hat eine lange Tradition, und sie ist stets an eine Form der Entbehrung gebunden, die aber bald nicht mehr als Mangel empfunden wird, wenn man den Mut gefunden hat, sich ihr auszusetzen. Dabei wird aber stets die Bereitschaft, alte Bindungen zu lösen und alte Gewohnheiten aufzugeben, zur Voraussetzung dieser Erfahrung gemacht, sei es wie Thoreau, der sich 1845 aufmachte, zwei Jahre in den Wäldern zu leben, sei es wie 150 Jahre später Loïc Wacant, der sich als Weißer für ein Leben auf Zeit im Schwarzenghetto entschied und sich der asketischen Disziplin der Boxausbildung unterordnete. Beide empfanden diesen Schritt als eine Befreiung, in der die Selbsterfahrung sich von dem löste, was bisher notwendig schien.

An diese Form der Erfahrung knüpft Bogner mit den Skulpturen an, die Erinnerungen an unfertige, provisorische, mit vorgefundenem und zusammengesuchtem Material errichtete Bauten hervorrufen, welche die Existenz nur noch im Hinblick auf das unbedingt Notwendige schützen – eine Ästhetik der Behausungen auf Zeit, der improvisierten Unterkünfte. Es steht außer Zweifel, von welcher Seite diese Ästhetik betrachtet wird, es ist immer der Blick von außen, der sie erfasst, so wie Bogner auch Baustellen, Ruinen, Abbruchhäuser und Gerüste als ästhetische Sensationen von außen sieht. Trotzdem sind all diese architektonischen Fragmente mehr als sinnliches Faszinosum. Bogner transformiert sie zu Aufforderungen, sich existenzieller Erfahrung auszusetzen, sich daher auch ganz der Arbeit des Künstlers auszuliefern. Es ist dies nicht nur um der Selbsterfahrung willen zu tun, sondern auch, um die abfällige Betrachtung dessen, was uns wertlos erscheinen mag, aufzugeben und die Würde in den Spuren des Lebens zu erkennen, die auch in den verfallenden Resten des Gebauten noch enthalten sind. Schutzräume sind daher mehr als Kammern, die schützen: Sie sind Räume, die den Betrachter auffordern, sich der Frage nach dem zu stellen, was ihm eigentlich notwendig erscheint: Sie schützen so auch die Individualität vor der Gefahr der Oberflächlichkeit, ihrem Zerrinnen in der Banalität der Äußerlichkeit.

Eine weitere mögliche Assoziation führt über die Orte, von denen Bogner seine Anregungen bezieht: Steinbrüche, Ruinen, Baustellen. Fundstücke können den Prozess der ästhetischen Aneignung ebenso auslösen wie er sich dazu Fotografien bedient. Dabei sind es immer Fragmente, an denen sich seine Fantasie entzündet. Das gibt den Hinweis darauf, dass der Mo-ment, den Bogner interessiert, der ist, an dem die alte Geschichte, die eine großartige gewesen sein kann, aber nicht muss, noch in der Architektur wie im Fundstück virulent ist. All diesen Fragmenten, die Bogner für seine Arbeit fruchtbar macht, ist gemeinsam, dass sie einen Prozess einer Bearbeitung durch die Zeit, durch Menschen wie durch Wind oder Wasser hinter sich haben, sie repräsentieren damit eine Ordnung zeitlicher Zyklen, die nicht nur zum Verfall, sondern auch wieder zum Aufbau führen. Dieser Prozess des Aufbaus wird dabei durch Bogners eigene Arbeit geleistet, indem er Modellbauholz und Karton zu Objekten fügt. Seine Objekte präsentieren so einen Prozess zwischen Entstehen und Verschwinden, der den Charakter des zeitlichen Verlaufs verdeutlicht, den auch die realen Fragmente, die Bogner als Anregungen dienen, durchgemacht haben. Im Moment einer scheinbaren Destabilisierung öffnet sich der Raum der Vorstellung. Auch die Isolierung des Objekts in einem künstlerischen Raum, auf einem Podest oder an der Wand, unterstützt diesen Prozess, eigene Vorstellungswelten zu erschließen, ohne illusionistisch werden zu müssen oder die Imagination zu stark zu lenken und sie so eher zu behindern. Was aus den aufgebrochenen Landschaften entstehen wird, welches Leben sich der Rückzugsräume als Zuflucht bedient, um weiter zu bestehen, bleibt offen, lässt aber der Vorstellung des Betrachters Spielräume darüber, welche Geschichten sich hier abgespielt haben mögen. Bogner kreuzt den Akt der aktiven und aneignenden, assoziativen Erinnerung mit seinem künstlerischen Vorgehen, das den Aufbau und die Konzeption des Werkes stets als einen offenen Prozess behandelt, in dem die Objekte in Bezug zu seiner malerischen Arbeit stehen. „Offener Prozess“ bedeutet allerdings nicht, dass die künstlerischen Entscheidungen vage sind, es bedeutet, dass die Arbeiten sich immer wieder als Ausgangssituation zu neuen Erkundungen der Erfahrung eignen. In diesem Zusammenhang aufschlussreich ist das Arbeiten des Künstlers in Serien, von Objekten wie von Zeichnungen. Die Serie als Sequenz legt immer einen zeitlichen Ablauf nahe, sie ermöglicht nicht nur eine Entwicklung eines Themas unter verschiedenen Gesichtspunkten, sie lässt sich auch weiter denken, als es die zur Verfügung stehende Anzahl von Arbeiten einer Serie nahe legt. Eine Serie aus fünf Objekten kann auch als eine aus acht gedacht werden, keinesfalls gibt es nur eine Antwort auf die Fragen, die durch das Thema der künstlerischen Arbeit gestellt werden. Eine spätere Antwort kann dabei auch die bisher angebotenen Lösungen weiterentwickeln.

Im gleichen Sinne ist auch das Verhältnis des Modells zu einer möglichen Wirklichkeit zu verstehen. Die Objekte Bogners haben den Charakter architektonischer Modelle, den sie auch nie wirklich ablegen sollen, denn nur Kraft dieser Eigenschaft gelingt es, sie als eine Welt zu verstehen, die in ungleich größeren Dimensionen erlebt werden kann. Das Modell ist aber nicht nur Abbild einer Wirklichkeit in anderen Dimensionen, es repräsentiert schon von sich aus eine eigene Welt, einen eigenen Entwurf, der für sich steht und der nicht auf andere Situationen übertragen werden muss. Die Anspielungen und Assoziationen können sich daher auch auf Industrieanlagen wie monumentale Anlagen, auf Gebäude oder bauliche Provisorien beziehen. Die durchgehend mit schwarzer Farbe behandelten Objekte sollen nicht durch den Eigencharakter ihrer Materialität allein wirken, sondern die Vorstellung von anderen Zusammenhängen des Materials und der Dimension zulassen und eröffnen. Sie stehen in diesem dem Ausgangsmaterial entfremdeten Charakter den Zeichnungen nahe, die wie die Objekte einerseits selbst ihren eigenen Raum beschreiben, ihre eigene Sache vertreten, andererseits Vorstellungen von Räumen, Landschaften, Beziehungen Raum geben, die über die Zeichnung hinausweisen.

Um den der Imagination offenen Charakter der Zeichnung nicht zu verlieren, müssen die Objekte bereits Resultat sein. Sie sind so in dem Sinne utopische Realität, als sie keinem Ort zugewiesen werden können, sich aber als Vorstellung eines Ortes imaginieren lassen: Keine Verweise mehr, sondern selbst Orte, die Beziehungen zu anderen Orten herstellen mögen, durch sie aber nicht zu ersetzen sind.

In der Ausstellung in Berlin wie bereits bei anderen Ausstellungen ist dabei wichtig, dass Bogner die Objekte zu einem Gesamtraum zusammenfügt. Ebenso wie das Objekt sich selbst genügt und trotzdem die Vorstellung anderer Orte hervorruft, so wird der Ort der Ausstellung selbst zum Objekt, zum Spiel aus Volumen, Licht und Schatten, das den Blick auf eine andere Welt freigibt, die sich in den Objekten kristalliert.